„Diese zwei Seiten in mir. Das ruhige für mich Sein und schreiben und das extrovertierte auf der Bühne stehen Wollen.“
Man lehnt sich wohl nicht zu weit aus dem Fester, wenn man Paulina Behrendt als ein Hamburger Slam-Wunderkind tituliert. 2018 als Newcomerin im Grünen Jäger gestartet, avancierte die 23-Jährige in wenigen Jahren zu einem der Gesichter der Hamburger Szene. Inzwischen ist sie unter anderem Trägerin des Erika und Thomas Mann Preises für junge Autor*innen. Im Interview mit Kolja Fach erzählt Paulina, wie es sich anfühlt, wenn eigene Texte plötzlich viral gehen, wie die Hamburger Szene sie als Künstlerin geprägt hat und wie man Identität findet, wenn man teils öffentlich erwachsen wird.
Kolja Paulina, haken wir die basic-Frage direkt zu Beginn ab: Wann und wie bist du zum Poetry Slam gekommen?
Paulina Ich habe vor sechs Jahren, also 2018 mit Poetry Slam angefangen. Da war ich grade 16 und habe mir eine Veranstaltung vom Publikum aus angeschaut. Ich hatte als Kind schon eine kleine Bühnenaffinität und habe Theater gespielt, geschrieben habe ich auch immer. Und auf diesem Poetry Slam ist mir wie ein Licht aufgegangen, so Wow, okay, das trifft diese zwei Seiten in mir. Das ruhige für mich Sein und schreiben und das extrovertierte auf der Bühne stehen Wollen. Und dann habe ich eine Mail an Kampf der Künste geschrieben und die haben mich bei der Jägerschlacht im Grünen Jäger untergebracht. Daraus sind dann weitere Anfragen von KdK entstanden und ich hatte richtig Bock. Mir hat das alles total viel Spaß gemacht und damals war es auch eine willkommene Abwechslung vom Schulalltag, abends so rauszukommen.
Kolja Wenn du schon so lange schreibst, schon vor deiner Slam-Zeit, hattest oder hast du dann auch Autor*innen-Vorbilder oder Idole?
Paulina Vorbild würde für mich bedeuten, dass es jemanden gibt, der mir so meine Richtung vorgibt, der ich dann folgen möchte. Also eine Person, die meinen Weg zuerst geht und ich laufe ihn nach. In dem Sinne habe ich tatsächlich keins. Aber natürlich gibt es mega viele Leute, denen ich gerne zuhöre! Ich habe früher ganz viele Texte von Lucia Lucia bei YouTube geguckt, Jule Weber berührt mich immer total, da kriege ich jedes Mal Gänsehaut beim Zuhören und Pauline Fügs Texte gefallen mir auch total. Dazu kommen immer wieder Leute, die man neu entdeckt. Da stehe ich dann und bewundere, wie genau sie ein bestimmtes Gefühl treffen können, mit so sanfter und wunderschöner Sprache und würde das dann auch gerne so können. Also es gibt viel Bewunderung für andere – klassische Vorbilder glaube ich aber nicht.
Kolja Mit diesem – deinem eigenen – Weg bist du auf den Bühnen ja immens schnell gewachsen, nicht nur in Hamburg. Was hast du selbst so als die Meilensteine der letzten Jahre erlebt?
Paulina Ich glaube für mich sind die wichtigeren Meilensteine nicht, dass ein Video gut geklickt wurde, oder dass ein Buch erschienen ist. Die Meilensteine passieren eigentlich die ganze Zeit auf dem Weg. Also wie ich mich über die Jahre formen konnte auf der Bühne und wie ich mich entwickelt habe. Da ist eigentlich jeder Text, den Menschen zu hören bekommen haben ein Meilenstein, weil ich rückblickend jetzt an den Texten von früher erkenne, wo ich grade im Leben war und welchen Entwicklungsschritt ich zu der Zeit gemacht habe. Die Texte fassen irgendwie immer gut solche Etappen zusammen.
Kolja Ungefähr vor einem halben Jahr hast du dann angefangen deine Texte bei Instagram zu teilen und die sind quasi sofort viral gegangen. Was ist das für ein Gefühl, plötzlich diese Reichweite zu haben?
Paulina Ich habe auf jeden Fall gar nicht damit gerechnet. Am Anfang hat mich die Reichweite total überfordert. Plötzlich waren da 50.000 fremde Menschen, die einem zuschauen, das kann schon echt Angst machen. Da war ich vielleicht auch etwas leichtsinnig zu Beginn. Inzwischen habe ich das alles mehr verstanden, habe viel Privates einfach rausgenommen aus den sozialen Medien und weiß jetzt, wie ich mit den Plattformen umgehen will. Es ist auch gut zu merken, dass niemand was von einem erwartet, am Ende ist es eben „nur“ das Internet. Im echten Leben hat sich nichts verändert. Inzwischen kann ich gut stolz auf die Reichweite sein, die meine Texte bekommen haben. Ich habe aber auch gemerkt, dass ich ein sehr analoger Mensch bin. Die Reichweite im Internet fühlt sich anders an als ein Auftritt live vor Menschen, deswegen wollte ich mehr aus dem digitalen Bereich wieder in mein Leben holen und habe ein Buch aus den Texten, die viral gegangen sind veröffentlicht. Das Buch habe ich in Eigenregie publiziert und es hat sich wirklich gut angefühlt zu merken okay, du bist eigentlich Schriftstellerin, keine Influencerin. Klingt vielleicht komisch, aber das Buch hat geholfen wieder eine stimmige Identität zu finden.
Kolja Das Buch heißt Metamorphosen. Was war deine Metamorphose über die letzten Jahre?
Paulina Das ist eine Riesengeschichte. Die Slam-Szene bereichert das eigene Leben einfach total, weil man ständig mit diversesten Menschen in Kontakt kommt und so sehr seine eigene Bubble verlässt. Und ich bin eben auch erwachsen geworden während meiner bisherigen Slam-Zeit, oder zumindest erwachsener. Ich weiß noch, dass ich früher überall reinpassen wollte und bloß nicht zu laut sein wollte. Und Slam ist dann der Ort geworden, wo ich das Gefühl habe, hinzugehören, genau zu wissen, was ich tue, zu wissen wie ich schreiben will – ich will mich nicht mehr verändern für irgendwen oder irgendwas. Und ich kann mir selbst die Freiheit geben zu sein, wie und was ich will, vielleicht auch mal widersprüchlich zu sein, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Letztendlich ist da einfach viel Selbstbewusstsein entstanden und ich bin froh, dass das überall so auf- und angenommen wurde.
Kolja Jetzt wo das erwachsen(er) werden in großen Teilen hinter dir liegt – wie geht es weiter? Du studierst parallel noch Medizin. Kommt Ärztin als Identität dazu, oder willst du ganz bei der Kunst bleiben?
Paulina Nein. Das Schreiben als Ausgleich zur Medizin gefällt mir richtig gut und so werde ich es auch beibehalten. Aber ich freue mich riesig darauf Ärztin zu werden, Medizin fühlt sich absolut richtig an als Fachgebiet und ich freue mich auch, dass dadurch eine gewisse Sicherheit in meinem Leben entstehen wird, die man als freie Schriftstellerin vielleicht nicht immer haben kann, grade wenn man eine Familie haben möchte. Und künstlerisch entwickelt sich parallel trotzdem einiges weiter. Im Sommer werde ich eine Solo-Lesung geben, auf die ich ganz aufgeregt bin und das Jahr hat schon mit einem Riesenhighlight, einem Auftritt in der Elbphilharmonie, begonnen. Beide Bereiche, Medizin im Hauptberuf und Kunst aus Leidenschaft, werden parallel Teil meines Lebens sein.
Kolja Ganz viel Erfolg bei alledem! Möchtest du abschließend was loswerden?
Paulina Ja, ein Dankeschön! An Kampf der Künste und alle Menschen, die dahinterstecken und daran mitarbeiten und alles, was wir hier besprochen haben mit möglich gemacht haben. Und natürlich auch bei meiner Familie, die das alles unterstützt hat. So – das war´s.
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft Frühling 2024
Copyright: Ken Yamamoto