„Ich werde nichts veröffentlichen, das mich selbst langweilt!“
Leicht war es nicht einen Interview-Termin mit Bodo Wartke zu bekommen. Auch nach 27 Jahren als Kabarettist, sind seine allumfassende Musikalität und seine filigrane Sprachgewandtheit überall gefragt und in aller Munde. Und Letzteres wortwörtlich, spätestens seit sein Zungenbrecher-Video einer vertonten Version von „Barbaras Rhabarberbar“ zum Welterfolg bei TikTok avancierte. Mit Kolja Fach hat er für Kampf der Künste besprochen, warum Sprache so viel Spaß macht, warum Werbung ätzend ist, warum Schulen so langweilig mit Musik und Kunst umgehen und warum man sich für Klick-Millionen nicht direkt etwas kaufen kann.
Kolja Die letzte Zeit hast du ja einen Interview-Marathon hingelegt. Was glaubst du, wie viele Fragen zu Barbaras Rhabarberbar hast du bisher gestellt bekommen und wie viele erträgst du noch?
Bodo lacht Ich beantworte die alle immer noch gerne, weil ich ja weiß, dass da aufrichtiges Interesse hinter steht. Ob ich Rhabarberkuchen mag, werde ich ständig gefragt, aber es gab davor auch schon Fragen, die sich wiederholt haben. Letztlich spricht das ja für die Fragen, wenn sie viele Menschen interessieren. Die häufigste ist „Was ist bei dir zuerst da – der Text oder die Musik?“ Das würde mich als Außenstehenden auch interessieren, deswegen ist das eine tolle Frage.
Kolja Und? Unterscheidet sich die Reihenfolge von Musik und Text, je nachdem ob du einen Zungenbrecher für TikTok schreibst oder ein Klavierkabarett-Stück komponierst?
Bodo Das ist gar nicht so weit weg voneinander. Ich habe auch in meinen übrigen Stücken, sei es bei den Liedern am Klavier oder auch in meinen Theaterstücken, auf gewisse Dinge Wert gelegt, die ich in den Zungenbrechern jetzt auf die Spitze treibe. Vor allem, was Reimstruktur, Binnenreime, den Flow und den Style angeht. Das zieht sich wie ein roter Faden durchs ganze Repertoire, so unterschiedlich die Themen und Formen auch sind.
Kolja Die erste Form war bei dir aber das Klavierkabarett, damit warst und bist du wahnsinnig erfolgreich. Wie war das dann plötzlich so auf TikTok abzugehen?
Bodo Der erste virale Hit war der „Dachdecker“, der uns schon vollkommen überrascht und überrollt hat. Und mit „Barbaras Rhabarberbar“ wurde es noch krasser. Also vor allem zu erleben, dass es international so auf Anklang stößt. Ich dachte, dass man Deutsch verstehen muss, um Spaß an irgendetwas zu haben, das ich mache. Aber das ist offenbar nicht der Fall. Was sich anscheinend jenseits der Worte überträgt, sind die Freude an der Sache und auch die Kunstfertigkeit und die Musikalisierung der Sprache; Reime bilden und damit die Sprache zum Klingen bringen. Das versteht man auch, wenn man den Inhalt nicht versteht. Und das ist total schön zu erleben, plus die Tatsache, dass Menschen plötzlich merken, wie rhythmisch und humorvoll die deutsche Sprache sein kann. Es gibt ja das Vorurteil, dass bei uns alles so hart und aggressiv klingt – das haben wir mit den TikToks auf den Prüfstand stellen lassen und das gefällt mir total.
Kolja Nach 27 Jahren nochmal mit TikTok anzufangen ist aber auch ein krasser Step, oder? Es gibt viele Kabarettist*innen, die ziehen ihren bekannten Stil einfach durch. Du hast Theater gemacht, Klavier gespielt, mit Orchestern und Bigbands gearbeitet, Swing gesungen und Charleston getanzt – und jetzt sind Zungenbrecher im Internet dazugekommen. Willst du einfach immer alles ausprobieren?
Bodo Ich habe mir gedacht: Okay, wenn ich jetzt diese neuen Kanäle, die sozialen Medien, bespielen will, muss mir das Spaß machen. Ich will da nichts reinstellen, was mich selbst langweilen würde, so „Hey Leute, ich sitz hier und trinke meinen Kaffee. Liked und kommentiert mal, wenn ihr auch so gerne Kaffee mögt!“ Also, nee. Das muss künstlerisch hochwertig sein, damit ich da Bock drauf habe! Also habe ich mir künstlerische Herausforderungen gestellt. Auf Tour habe ich zum Beispiel zu jeder Stadt ein Limerick geschrieben und dann kamen irgendwann die Zungenbrecher. Ich glaube, das ist auch der Grund, dass Leute das jetzt gerne gucken: Ich mache das nicht, weil ich muss, sondern ich habe mir das so erschlossen, dass es meins ist, dass es mir Spaß macht und dass es interessant ist.
Kolja Aber du bist nach wie vor vor allem Live-Künstler – sitzen da jetzt tausende TikTok-Kids im Saal, wenn du auftrittst?
Bodo Kurioserweise sind TikTok und Live-Kabarett zwei völlig verschiedene Bubbles. Ich frage bei jeder Show, warum die Leute da sind, und ein Drittel sagt immer, dass sie mich aus dem Fernsehen kennen. Dabei sieht man mich da nur ein oder zwei Mal im Jahr nachts bei 3Sat oder so. Und wenn ich frage, wer mich von TikTok kennt, melden sich in einem Saal mit tausend Leuten ungefähr fünf. Was mehr wird ist, dass, wenn ich Zungenbrecher mache, die Leute im Publikum die wiedererkennen. Es ist also eher so, dass das Stammpublikum mir jetzt auch bei TikTok folgt, zusätzlich zu den Abonnent*innen, die mich nur da schauen.
Kolja Aber das heißt, dass du die TikTok-Texte auch live performst?
Bodo Ja, das mache ich auch jetzt schon in meinem Programm. Im Dezember 2024 startet dann ein neues Programm, da wird es etwas mehr Zungenbrecher geben, aber natürlich nicht nur. Das wäre dann auch eintönig.
Kolja Okay, es gibt also die Livepräsenz mit TikTok-Elementen und abgekoppelt davon eine reine TikTok-Bubble, die sich um dich gebildet hat. Bist du jetzt gefragter Influencer?
Bodo Nein! Aber es kommen die kuriosesten Werbeanfragen. Da frage ich mich oft, ob die Leute sich überhaupt mit mir als Künstler beschäftigt haben. Ich finde Werbung meist fürchterlich. Und ich verstehe natürlich, dass Menschen, die hauptberuflich Content-Creator sind, damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber selbst, wenn die Werbung sehr gut gemacht ist, ist sie meist nicht so geil, wie die originale Kunst, die die Leute schaffen. Aber das ist eben auch mein Privileg, weil ich die Live-Auftritte habe, die auch vor TikTok schon gut gelaufen sind. Die Art, wie solche Plattformen Geld ausschütten, ist absurd, und es wurmt mich natürlich auch, dass Musik online so wenig wert ist. Wir haben ein Video produziert, dass um die ganze Welt gegangen ist und dafür kriegt man dann so gut wie kein Geld von TikTok und von Instagram und – da gebe ich dir gerne eine Hausnummer – von Spotify bekommen wir 0,2 Cent pro Stream. Stell dir mal vor, auch nur ein Teil der Millionen Leute, die den Track geklickt haben, hätte das Lied wie früher für 99 Cent irgendwo runtergeladen, oder ein paar Hunderttausend Leute kaufen eine CD. Das wäre was völlig anderes.
Kolja Wirklich krass! Lassen wir TikTok kurz hinter uns und gucken auf andere Meilensteine in deinem Schaffen. 2023 bist du mit dem Deutschen Sprachpreis der Henning-Kaufmann-Stiftung ausgezeichnet worden. Du hast vorhin schon gesagt, Rhythmus und Reim und so sind die Mittel, um aus Sprache Musik zu machen. Worin liegt für dich der Reiz, Sprache so kreativ einzusetzen und zu gestalten?
Bodo Über Sprache überträgt sich ja nicht nur das, was du sagst, sondern auch die Emotion. Du hörst am Tonfall des Gegenübers, wie der oder die gerade drauf ist. Und das finde ich spannend, was Sprache in Worten überträgt und wie sie gleichzeitig auch zum Klingen gebracht werden kann. Häufig im Alltag, aber auch in der Kunst, müssen Abstriche gemacht werden. Entweder die Botschaft ist präzise, oder etwas klingt gut. Aber ich möchte nie ein Entweder-Oder. Ich möchte die Klarheit der Botschaft, die absolute Präzision und Deutlichkeit, bei gleichzeitiger Schönheit des Klangs, erzeugt durch Reime, Alliterationen, Assonanzen, also die ganze Palette an sprachlichen Stilmitteln. Und da suche ich nach, bis ich wirklich zufrieden bin. Die deutsche Sprache steht oft für Präzision und Aussagekraft – das sehe ich auch so. Aber gleichzeitig sind mir bisher noch nie die gestalterischen Mittel ausgegangen, die sie uns bietet.
Kolja Was hältst du von so deutschen Sprachpuristen, die sich im Netz in Kommentarspalten trollen?
Bodo Na, es ist ja die eigene Entscheidung, welche Vokabeln man benutzen möchte. Und man kann einfach mitgestalten, anstatt es nur blöd zu finden. Sprache ist immer schon im Wandel gewesen. Es mag sein, dass bestimmte Worte verloren gehen, dafür fallen uns aber auch neue ein. Sprache ist dafür da, Realität abzubilden und irgendwann gibt es Dinge, die uns begegnen, die müssen wir benennen. Wenn es zum Beispiel um Gleichberechtigung und Teilhabe in der Sprache geht, dann sollten wir die Möglichkeit nutzen so zu sprechen. Ich verstehe, wenn Leute das vielleicht unelegant finden, aber die Leute sollen sich einfach entspannen. Wir leben in einer globalisierten Welt, wo sowieso von überall neue Einflüsse kommen. Da kann es sehr gut sein, dass dabei ein Wort auftaucht, das etwas beschreibt, für das wir noch keine Worte hatten. Da irgendwie nationalistisch zu denken, ist völlig bescheuert. Wenn sich ein englisches Lehnwort anbietet – why not!
Kolja Hat nicht Olaf Schubert mal gesagt „Anglizismen sind für mich ein NoGo“?
Bodo Ja! lacht Sehr schön!
Kolja Es ging eben schon um die um die Botschaft in der Sprache, die ist ja oft auch klar positioniert bei dir. Du hast zum Beispiel vor der Europawahl via Zungenbrecher zum Wählen animiert. Fühlst du dich mit deiner Reichweite und dem Publikum auch mit einer gewissen gesellschaftlichen Verantwortung beladen?
Bodo Die Reichweite ist zumindest eine Möglichkeit, birgt Potenzial. Wenn mir was einfällt, was ich teilen möchte mit den Leuten, mache ich das. Im Falle der Europawahl hatte ich eine konkrete Anfrage von Luisa Neubauer. Die wollte wissen, ob Marti und ich einen Sound zur Wahl beisteuern wollen. Und lustigerweise war sie auch noch in der Nähe, als wir dann zusammen im Studio waren und ist völlig spontan zu uns gefahren und war als Cameo dabei.
Kolja Und neben den politischen Messages gibt es ja auch noch Bildungsarbeit, die du leistest. Von umgeschriebenen Theaterstücken bis zu einem Musikbuch für Schüler*innen von dir. Warum ist dir diese Arbeit so wichtig?
Bodo Ich wollte eigentlich in erster Linie selbst Spaß haben und Inhalte auf freudvolle Art und Weise vermitteln. Ich habe mich in meiner Schulzeit immer geärgert, warum uns Zeug verabreicht wird, das überhaupt keinen Spaß macht. Aus der Frage heraus, wie das unterhaltsamer vermittelt werden könnte, entstand zum Beispiel die Idee König Ödipus umzuschreiben, damit es besser verständlich ist, um was es geht und welche Konflikte beschrieben werden. Ich will, dass Leute erleben, dass es Bock machen kann, sich mit klassischen Inhalten zu beschäftigen. Und viele Lehrpläne sind da leider eher gut gemeint als gut gemacht. Als Erwachsener versteht man irgendwann auch so, warum es cool ist, sich mit Goethe und Schiller zu beschäftigen und warum die so wichtig waren für ihre Zeit. Aber in der Schule müssen erstmal Zugänge entstehen. Wenn du jemandem wissenschaftlich 12-Ton Musik erklärst, macht das auch erstmal keinen Spaß. Wenn du sie erlebbar machen kannst, ist das plötzlich total spannend!
Kolja Also: Klavierkabarett, Theaterinszenierungen, Bigbands, Orchester, Tanz, Lehrinhalte, TikToks... Was wird dein nächstes Ding? Wo liegt der Fokus? Oder willst du jetzt immer alles machen?
Bodo Alles gleichzeitig am liebsten! Ich habe immer mehr Ideen als Zeit und ich muss inzwischen auch wirklich auf meine Gesundheit und auf die von meinem Team achten. Nein zu sagen, wenn ich ein Projekt mag, fällt mir bis heute schwer. Momentan steht zum Beispiel die Idee im Raum, ein Duo-Programm mit Marti Fischer international aufzuführen. Wir haben beide viele Formate, die auch mehrsprachig super funktionieren, oder die sowieso auf Englisch sind. Letztlich ist sowas aber auch eine Frage von Zeit, wir haben ja beide auch so schon Berufe.
Kolja Eine Sache haben wir bisher noch nicht angesprochen: Manchmal trifft man dich als Feature Act bei Poetry Slam-Veranstaltungen. Wie ist das passiert?
Bodo Meine ersten Berührungspunkte mit Poetry Slam hatte ich zu der Zeit als Slam und Spoken Word noch sehr neu waren. Da gab es einen kleinen Slam in Berlin, der war als Format erstmal total reizvoll: Keine Instrumente, keine Requisiten, nur Performance. Da gab es immer den „Bratapfel-Römertopf zu gewinnen“, der Wettbewerb ist ja meistens eher Quatsch. Aber ich konnte damals ein paar Römertöpfe gewinnen - außer wenn Marc-Uwe Kling da war. Dann war immer klar, dass er den nächsten Topf irgendwo bei sich zu Hause verstauen muss. Ich habe die Veranstaltungen immer sehr genossen, ich habe aber auch gemerkt, was Musik mir bedeutet: Einmal wollte ich einen Song als Gedicht vortragen, aber ohne die musikalische Begleitung habe ich einfach den ganzen Text vergessen. Ich war also eher Zaungast in der Slam-Szene. Aber als dann die ersten Songwriter-Slams aufkamen, bin ich voll darin aufgegangen. Insgesamt fand ich Poetry Slams als Format immer wahnsinnig spannend und nah am Puls der Zeit und bewundere die Leute auch sehr dafür, wie sie wichtige Themen auf der Bühne, aber auch innerhalb der Szene durcharbeiten und reflektieren.
Kolja Ein wunderbares Schlusswort. Wir halten nochmal fest: Neues Programm im Dezember und kurz danach sieht man dich bei der Legends Show in der Elbphilharmonie am 04.01. bei uns?
Bodo Genau. Danke dir und bis bald!
KOLJA FACH (*1998) steht nicht nur als Slammer
und Satiriker auf den Bühnen des Landes -
als Journalist bewegt er sich immer zwischen
Hochkultur, Underground, Politik und dem sozialen Leben.
So arbeitet er unter anderem neben seinen Auftritten
als Redakteur für Bremen Next und Bremen Zwei.
Erschienen in Programmheft 31.07.2024
Copyright: Sven Hagolani
